Neurologische Folgen einer Sepsis: Chronische Schluckstörung bei Patienten mit Critical Illness Polyneuropathie (CIP) oder Myopathie (CIM)
Allgemeines
Akronym: NeuroSOS-Dysphagia
Projektleiter: Jörg Zielske
Forschungsfeld: E Langzeitfolgen
Projektnummer: E2.3
Projektlaufzeit: 01.04.2011 bis 31.03.2013
Modul: Rotationsstelle
Projektbeschreibung
Schluck- und Ernährungsprobleme sind wichtige Themen für septische Patienten, nicht nur in der akuten Phase sondern auch als langfristige Beschwerden. In den ersten Wochen nach Auftreten einer Sepsis scheinen anhaltende neurologische Symptome, physische Schwäche und das Vorhandensein eines Luftröhrenschnittes Hauptfaktoren zu sein, die das Schlucken negativ beeinflussen. Allerdings sind erstens diese Faktoren nicht bei allen Patienten vorhanden und zweitens besteht Dysphagie häufig auch nach Verschwinden dieser Faktoren nach der frühen Rehabilitationsphase weiter. Es gibt keine Daten über langfristige Schluckbeschwerden und ihre Risikofaktoren bei Patienten, die auf einer Intensivstation wegen Sepsis behandelt wurden. Wir wissen von Schlaganfallpatienten, dass die chronische Dysphagie einen Hauptrisikofaktor für die Sterblichkeit nach Schlaganfall darstellt. Die hohe Sterblichkeitsrate bei Patienten mit schwerer chronischer Dysphagie hängt wahrscheinlich mit dem häufigen Vorkommen von Aspiration und aspirationsbedingten Erkrankungen wie Pneumonie, Infektionen oder Blutungen zusammen. Unklar sind aber weiterhin die Ursachen und der Anteil an chronischen Dysphagien.
Swallowing and nutrition problems are a major issue for septic patients in the intensive care unit not only in the acute phase but also as long-term complaint. In the first weeks after onset of sepsis persisting major neurological symptoms, physical weakness, and presence of a tracheotomy seem to be major negative factors disturbing swallowing. But dysphagia often persists even after disappearance of the mentioned factors after the early rehabilitation phase. Not much data is available on long-term dysphagia and its risk factor in patients who have been treated on an ICU for sepsis, although it is known that persistent severe dysphagia is a major negative risk factor for survival. The high mortality rate in patients with severe chronic dysphagia is probably related to the high frequency of aspiration and aspiration-related diseases like pneumonia, infections, or bleeding. However, the causes and the proportion of chronic dysphagia are still unclear.
Dysphagie & CIP/CIM
Der normale Schluckvorgang erfordert ein koordiniertes Zusammenspiel verschiedener anatomischer Strukturen in Mundhöhle, Rachen, Kehlkopf und Speiseröhre. Funktionell wird hierbei eine willkürlich eingeleitete orale von einer unwillkürlichen pharyngealen und ösophagealen Phase differenziert. Die umfangreiche nervale Versorgung veranschaulicht die Komplexität des Schluckvorganges und macht gleichzeitig die potentielle Vulnerabilität dieses Funktionsablaufes deutlich. Betrachtet man die Langzeitfolgen von Sepsispatienten, können CIP und CIM kraniale und zervikale Nerven bzw. Gesichts-, Mund- und Nackenmuskulatur chronisch beeinflussen. Das heißt, dass CIP und CIM alle Phasen des Schluckvorganges beeinträchtigen können. Die Störempfindlichkeit von zeitlicher Abfolge und Amplitude des Schluckvorgangs lässt vermuten, dass dieser Prozess bei vielen Patienten mit chronischer CIP und CIM beeinträchtigt ist.
Hypothese
CIP und CIM stellen die neuromuskulären Hauptfolgen einer Sepsis dar, die sich häufig während der Behandlung auf einer Intensivstation entwickeln. Bei Sepsis und dem septischen Entzündungsreaktions-Syndrom entwickeln 70% der Patienten eine CIP. Die Häufigkeit steigt weiter bis auf 100% in Fällen, in denen Multiorganversagen auftreten. CIP und CIM können schwere Folgen für die Patienten haben, da sie motorische und sensorische Störungen nicht nur während des Akutkrankenhausaufenthalts, sondern auch während der Rehabilitation und langfristige chronische Behinderungen verursachen. Wir vermuten daher, dass CIP und CIM wesentliche Faktoren für das Entstehen und das Fortdauern von Schluckstörungen bei Patienten mit chronischer Dysphagie sind.
Ziele
Die Ziele unserer Studie sind daher erstens die Untersuchung und Charakterisierung der Dysphagie bei septischen Patienten in der akuten und chronischen Phase sowie zweitens CIP und CIM und andere Faktoren als Risikofaktoren für die Entwicklung von chronischer Dysphagie bei septischen Patienten zu prüfen.
Workflow I
Wir werden daher die Schluckfunktion bei mindestens 150 septischen Patienten bewerten, die innerhalb einer Woche nach Auftreten der Sepsis in den Studienprojekten NeuroSOS-CIP und NeuroSOS-NERVE auf CIP und CIM hin untersucht wurden. Nach 2 Wochen werden die Patienten mittels faseroptischer endoskopischer Auswertung der Schluckfunktion (FEES) untersucht und mittels international anerkannter Scors bewertet. Weiterhin werden eine Reihe von schluck- und ernährungsrelevanter Parameter wie Tracheotomie, Zungenbeweglichkeit, Stimmlippenbeweglichkeit etc. überprüft.
Workflow II
Zum zweiten Messzeitpunkt nach 4 Monaten bekommen alle Patienten dieselbe Untersuchung noch einmal. Diejenigen, mit einem Penetration Aspiration Skalen Wert von >1, d.h. in dem Moment, wenn Nahrungsreste in der Nähe der Stimmlippen liegen bleiben, werden zusätzlich mittels standardisierter Videofluoroscopie, also mit einem Röntgenbreischluck untersucht und bewertet.
Methodik I
Bewertet wird ein videoendoskopisch dokumentierter Schluckversuch mit flüssigen, breiigen und festen Nahrungsmitteln, die mit Lebensmittelfarbe eingefärbt werden. Dabei wird ein Fiberendoskop endonasal bis in den Oropharynx eingeführt, wo der Larynx und umgebende Strukturen dann dargestellt werden können. Die endoskopische Untersuchung ist nicht invasiv und ohne Risiko für die Patienten und kann einfach am Krankenbett erfolgen.
Methodik II
Zusammenfassend lässt sich sagen:
- Erwachsene Patienten mit Sepsis in der Studie untersucht werden
- Die Charakterisierung dieser Patienten erfolgt durch die NEURO-SOS
- Es werden mindestens 150 Patienten in 24 Monaten untersucht
- Die Faseroptische endoskopische Untersuchung der Schluckfunktion (FEES) erfolgt nach 2 Wochen und 4 Monaten
- Zusätzliche Bestimmung des FOIS (Functional Oral Intake Scala)-Wertes nach 2 Wochen und 4 Monaten
- Dokumentation anderer Dysphagie relevanter Parameter nach 2 Wochen und 4 Monaten
- Videofluoroskopie (VF) nach 4 Monaten wenn der Penetration Aspiration Score >1 ist
- Der primäre Endpunkt ist durch eine chronische Dysphagie nach 4 Monaten gekennzeichnet, wenn hier der Penetrations Aspirations Score > 4 ist
- Die wichtigsten sekundären Endpunkte sind die Gradeinteilung aus der Penetration Aspiration Scala und der Functional Oral Intake Scala nach 2 Wochen und 4 Monaten sowie andere Dysphagie relevante Parameter
Alle Scors und Untersuchungen, die in dieser Studie zum Einsatz kommen, entsprechen international klinischen Standards, um die Ergebnisse von Schlucktests und den Ernährungsstatus von Patienten zu beschreiben.
Ausblick
Die geplante Studie ist notwendig, um zuverlässige Daten über das Vorkommen von sepsisbedingter chronischer Dysphagie und ihren Vorhersagefaktoren zu bekommen. Daher wurde die Zeit hierfür extra so kurz auf 2 Jahre beschränkt, um unser eigentliches Ziel, nämlich eine Interventionsstudie im dritten Jahr des CSCC-Programms einzubringen, um chronische Dysphagie bei Sepsispatienten zu verringern und damit langfristig, neben der Reduktion der Letalität, eine Verbesserung der Lebensqualität und eine Minimierung der direkten und indirekten Behandlungskosten zu erreichen.
Publikationen
Guntinas-Lichius O (2011) Langzeitfolgen der Sepsis, Dysphagie und Tracheomalazie. Weimar Sepsis Update, 2011 Sept. 7-10.
Kontakt
Prof. Dr. Orlando Guntinas-Lichius
Universitätsklinikum Jena
Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
Lessingstrasse 2
07743 Jena
Studienregistrierung: Deutsches Register Klinischer Studien: Neurologische Folgen einer Sepsis: Chronische Dysphagie bei Patienten mit Critical Illness Polyneuropathie (CIP) oder Myopathie (CIM) [DRKS-ID: DRKS00000650]